|
Zurück Harzer Roller Unter dem Namen Harzer Roller
sind sowohl ein Harzer Käse, ein im Harz gezüchteter Kanarienvogel sowie die
TVV-Radsportabteilung bekannt. Der Harzer Roller ist ein mit Kümmel gewürzter Sauermilchkäse, der oft an seiner Oberfläche einen dezenten Überzug von Schimmelkulturen besitzt. Er hat meistens einen kräftigen Geschmack und einen ausgeprägten Geruch. Der Reifegrad eines Harzer Rollers kann variieren von einigen Wochen bis zu vielen Jahren. Er wird nicht, wie oft behauptet, in Bergwerken zum Schutz der Bergleute eingesetzt, sondern er will einfach nur für ein verlängertes Wochenende flache Straßen und viel Seewind eintauschen gegen knackige Anstiege, rasante Abfahrten und gute für den Autoverkehr gesperrte Straßen in einer reizvollen Landschaft. Und so hat sich wieder einmal ein lustiger Haufen von 22 Harzer Rollern für ein verlängertes Wochenende auf den Weg zum Radfahren in den Harz gemacht. Bereits auf der B73, so an der Fischbeker Heide, wurden die Fahrer von ihren Mitfahrern hemmungslos motiviert mit: „Wann sind wir da?“ oder „Ich hab Durst“. „Mir ist langweilig“. „Ich muss mal pinkeln“. Andere starrten auf der Autobahn durch das Glasdach auf den über ihnen montierten Fahrradträger, um den Unterbodenschutz ihres Rennrades zu kontrollieren. Oder war das vielleicht doch nur Dreck? Zum Glück waren wir bereits nach rund drei Stunden Autofahrt in Bad Lauterberg, unserem Wochenend-Quartier, eingetroffen. Als nördlichstes Mittelgebirge bot uns der Harz wieder einmal fabelhafte Möglichkeiten um Bergerfahrungen zu sammeln bzw. die noch mangelnde Härte am Berg anzutrainieren. Die Bezeichnung Mittelgebirge war jedoch so manches Mal trügerisch. Von
den Eindrücken bzw. Anstrengungen die Berge rauf und runter zu fahren soll nun zusammenfassend
anhand der längsten der drei Touren berichtet werden. Für diesen, den zweiten Tag hatten wir uns eine Strecke von127 km
vorgenommen. Der Tag begann sonnig und versprach sehr warm zu werden. Bereits
beim Start um 9:30 Uhr war es schon 25 °C warm. Gut gelaunt und mit einem guten
Frühstück im Bauch ging es los. Eine so große Gruppe gut aussehender und
durchtrainierter Radsportler in ihren maßgeschneiderten Vereinstrikots erregte
so manches mal Aufsehen. Insbesondere dann wenn zu Zwecken der internen
Kommunikation von vorn gerufen wurde:
„Sind alle wieder da?“ Nach einer Unterbrechung, z.B. einer roten Ampel,
die die Gruppe auseinander gerissen hatte, erfolgte wie in einem
Kasperletheater immer wieder der Ruf der Frontleute „Sind alle wieder da?“ Eine
berechtigte Frage um festzustellen, ab wann wieder Gas gegeben werden könnte. „Ja Kasperl“ erschallte es von hinten„. Es sind alle
wieder da“ oder „Nein, es fehlt noch die Großmutter, die frisst gerade das
Krokodil“. Über
den Sieberpass fuhren wie in das malerischen Siebertal. Dort hatten wir die erste
von insgesamt sieben Reifenpannen. Während der Pechvogel seinen geplatzten
Schlauch wechselte, wurde die Pause durch die anderen dankbar angenommen, um
sofort die Räder beiseite zu stellen und die abwechslungsreiche Pflanzenwelt
einer naturwissenschaftlichen Betrachtung zu unterziehen. Die entsprechenden
Aufgabengebiete wurden den eiligst gebildeten Arbeitsgruppen zugeordnet und
schon verschwanden die Naturliebhaber im Unterholz. Es wurden insbesondere
Kräuterpflanzen bestaunt und nach Gattung, Familie, Ordnung usw. systematisch
erfasst. Dabei entwickelten sich teilweise interessante und kontroverse
Diskussionen, die am Abend noch vertieft werden sollten. Zahlreiche Kräuter
wurden in die Rückentaschen der Trikots gestopft mit dem Ziel, sie am Abend
weiter zu untersuchen. Für zufällig vorbei fahrende Autofahrer mag das ganze
Geschehen wie eine Pinkelpause ausgesehen haben. Aber die hatten ja keine
Ahnung! Nachdem der Schlauch gewechselt und die Ventilkappe mit einem Drehmoment-schlüssel ordnungsgemäß angezogen wurde, ging es dann endlich weiter über Sonnenberg und Altenau in Richtung Torfhaus. Die Straße wandte sich sanft durch den Wald und gab uns einen kleinen Vorgeschmack auf den schweren Hauptgang. Schnell wanderte die Kette hinten nach links auf das größte Ritzel und wir ergaben uns unserem selbst gewählten Schicksal. Der Puls hämmerte an den Schläfen und kletterte wie die Prozente. Der Schweiß brannte in den Augen. Jede Kurbelumdrehung war so schwer wie Kneipptreten im Morast. Nur manchmal flachte die Straße etwas ab, aber der Berg kannte keine Gnade. Es folgten weitere endlos erscheinende Meter. „Eis, lecker Eis“ oder „Jetzt eine Erdbeertorte mit Sahne“ brach es plötzlich aus einem Mitleid erweckenden und offensichtlich schon halluzinierenden Fahrer heraus. „Klappe halten und weiter treten“ erhielt der arme Kerl nur als Antwort. Wer mit einer Geschwindigkeit von max. 10 km/h wie in einem Tunnel fuhr, sich wie eine Schnecke kriechend nur auf die nächsten Meter konzentrierte, dem fehlte halt das Gespür für die Feinheiten! Glücklicherweise lichtete sich nach und nach der Wald. Kurz vor dem Gipfel, bei gefühlten 50 °C Außentemperatur, wurden einige Naturfreunde von einer Begeisterungsattacke dermaßen überwältigt, sodass sie vom Rad absteigen mussten. Nur so konnten sie die grandiose Fernsicht auf den Brocken sowie das nahende Gewitter intensiver genießen. Zufällig vorbei fahrende Autofahrer könnten geglaubt haben, die armseligen Typen mit ihren roten Köpfen und den bis zum Bauchnabel aufgerissenen Trikots seien kurz vor dem platzen. Aber die hatten ja keine Ahnung! Von dem nun nahenden Gewitter beflügelt, und gerade noch rechtzeitig, erreichten wir in dem Ort Torfhaus ein bayrisch anmutendes Gasthaus. Leider war dieses mit weiteren Gewitter-Flüchtlingen total überfüllt, sodass wir in geliehenen und interessant riechenden Decken eingehüllt unter dem Dachüberstand mit zünftiger Musikbeschallung ausharren mussten. Dafür durften wir ein einmaliges Naturschauspiel erleben. Auf dem gegenüber liegenden und mit Nebel verhangenden Brocken konnten wir die bekannte Brockenbahn beobachten, die aus dieser Entfernung wie eine kleine dampfbetriebene Modelleisenbahn aussah. Rings um den Brocken und unser Haus schlugen mit ohrenbetäubendem Lärm zahlreiche Blitze ein. Nach zwei Stunden war alles wieder vorbei und wir schälten uns aus unseren Decken. Glücklicherweise war in unser Haus kein Blitz eingeschlagen, denn ich hatte fast die meiste Zeit unbemerkt an einem Blitzableiter gesessen. Wegen des
Gewitters hatte sich die Luft um gefühlte 20 °C abgekühlt, sodass wir auf den
ersten Kilometern der nun folgenden Abfahrt in Richtung Clausthal-Zellerfeld
erbärmlich gefroren haben. Eine Möglichkeit um sich warm zu strampeln ergab
sich noch nicht. Im Schnitt wurden bei den Abfahrten Geschwindigkeiten von 60
bis 65 km/h erreicht. In einigen Kurven waren sogar Warnschilder für
Motorradfahrer aufgestellt, damit diese nicht mit überhöhter Geschwindigkeit
aus den selbigen flogen. Wir fanden diese Schilder ebenfalls sachdienlich. Denn
auch wenn mit jeder Kurve das Vertrauen in die Haftung der Reifen wuchs, so waren
wir doch auf öffentlichen und nicht für uns gesperrten Straßen unterwegs. Auf
geraden und guten Straßen waren sogar Geschwindigkeiten bis zu 75 km/h möglich
und so manch eine Carbongabel fing leicht zu flattern an, sodass langsam
abgebremst wurde. Nicht so bei unserem Cowboy auf seinem Stahlross. Mühsam, wie
ein sterbender Revolverheld, der seine letzten Worte stöhnt, röchelte er empor,
und schleppte sein lahmendes Ross den Berg rauf. Oben auf dem Berg angekommen
erfuhr der lahme Gaul eine wunderbare Metamorphose um anschließend als edles
Rennpferd und wie beflügelt mit max. 81 km/h den Berg wieder runter zu
brettern. Respekt. Max. Km/h: 81,3 Vergleichbar schnell waren nur noch Motorrad-fahrende Naturfreunde, die manchmal eine weite Anreise auf sich nahmen, um uns mit ihrem lieblichen Motorengeräusch zu erfreuen und mit ihren CO2-haltigen Abgasen die heimische Vegetation zu düngen. Nach der fünften Reifenpanne flog das gesammelte und aufgrund der feuchtwarmen Bedingungen gewachsene Kraut aus den Rückentaschen der Trikots. Zufällig vorbei fahrende Autofahrer könnten geglaubt haben, dass da Bananen herauswachsen würden. Aber die hatten ja keine Ahnung! Unsere Rundfahrt führte uns über Osterrode und Herzberg wieder zurück zum Ausgangsort Bad Lauterberg. 500 m vor dem Ziel hatten wir die siebte und letzte Reifenpanne des Tages. Zu diesem Zeitpunkt und auch wegen des überschaubaren Rückweges waren wir nicht mehr bereit auf Einzelschicksale Rücksicht zu nehmen. Von diesen sieben kontraproduktiven Pannen gingen allein vier auf das Konto dieses Pechvogels, dessen Namen wir an dieser Stelle nicht nennen wollen. Wie an den folgenden Höhenprofilen zu erkennen ist, sind wir an den drei Tagen 238 km gefahren und haben insgesamt 3.368 Höhenmeter überwunden.
45
km 127
km 66 km 566
m 1729
m 1073 m Eine Leistung, auf die wir
schon ein wenig stolz sein können. Jürgen Steinhart |